Die MueSem – Münchner Semiotik ist eine Online-Zeitschrift zur Publikation von Erstveröffentlichungen aus dem Schnittfeld zwischen Zeichentheorie(n), Philosophie, Literatur- und Medienwissenschaften.

Die MueSem ging aus einem interdisziplinären Forschungskolloquium hervor, das vor mehr als zehn Jahren von Prof. Dr. Nina Ort an der literaturwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) gegründet wurde.  Die Form des digitalen Publikationsmediums erscheint uns besonders gut geeignet, um unsere Forschungsergebnisse einem großen Publikum möglichst unmittelbar zugänglich zu machen und zugleich den Kreis von semiotisch interessierten AutorInnen über die ›Grenzen‹ Münchens hinaus zu erweitern.1

Herausgeber:  Anna‑Maria Babin | Thomas Nibler | Nina Ort | Patrick Thor

 

Warum Semiotik?

Zur Erhellung literatur- und geisteswissenschaftlicher Fragestellungen erwiesen sich uns insbesondere die prozessual-ereignislogischen und triadisch konzipierten Semiotiken von Charles Sanders Peirce (1839-1914) und Jacques Lacan (1901-1981) als theoretisch grundlegend und praktisch ertragreich. Neben Peirce und Lacan beschäftigen wir uns aber auch mit zahlreichen anderen semiotischen Entwürfen und benachbarten Forschungsfeldern, wie beispielsweise Kybernetik und Konstruktivismus, Strukturalismus und Dekonstruktion.

Mit Peirce als Begründer der modernen Semiotik lässt sich unsere Auffassung von Semiotik als formales Werkzeug zusammenfassen, mit dem wissenschaftliche und wissenschaftstheoretische Grundlagen allgemein rekonstruiert und neu reflektiert werden können:

Aber wenn es irgendeine Wirklichkeit gibt und insoweit es irgendeine Wirklichkeit gibt, so besteht jene Wirklichkeit in diesem: daß es im Sein der Dinge etwas gibt, was dem Prozeß des Schließens entspricht, daß die Welt lebt und sich bewegt und ein Sein besitzt, in einer Logik der Ereignisse.2

Beim Unterfangen, ebendiese zeichenhafte Logik der Ereignisse zu begreifen, müssen wir erkennen, dass das subjektiv-menschliche Bewusstsein nicht »Autor der Vernünftigkeit« ist, sondern vielmehr »etwas, das sich mehr oder weniger der Vernünftigkeit anpaßt«3 . Über dieses zeichenhafte, rein formal (re)konstruierbare Gerüst unseres Seins schreibt Lacan dementsprechend:

[…] die Vernunft, der Diskurs, die signifikante Artikulation, das ist von Anfang an da, ab ovo, es ist da in unbewußtem Zustand, vor Entstehung von allem, was mit der menschlichen Erfahrung ist, es ist vergraben da, unerkannt, nicht beherrscht, nicht gewußt von eben dem, der sein Träger ist.4

  1. Da die hier veröffentlichten Beiträge also vornehmlich als wissenschaftliche Arbeiten im universitären Kontext entstanden sind, wird – um diese Ergebnisse nicht zu verfälschen –  bewusst auf eine populärwissenschaftliche oder essayistische Aufbereitung ihrer Inhalte verzichtet. []
  2. Peirce, Charles S. (1976): The New Elements of Mathematics by Charles S. Peirce Vol. IV. 5 Bde. Hg. v. Carolyn Eisele. Den Haag: Moution. S. 343f. Zitiert nach: Pape, Helmut (1994): ›Zur Einführung: Logische und metaphysische Aspekte einer Philosophie der Kreativität. C.S. Peirce als Beispiel‹. In: Ders. (Hg.): Kreativität und Logik. Charles S. Peirce und das philosophische Problem des Neuen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. S. 9-59. Hier S. 56. []
  3. Peirce, Charles S. (2000): Semiotische Schriften. Band III. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. S. 382. []
  4. Lacan, Jacques (1996): Die Ethik der Psychoanalyse. Das Seminar Buch VII. Weinheim, Berlin: Quadriga. S. 252. []