Münchner Semiotik

Zeitschrift des Forschungskolloquiums an der LMU

Kategorie: Philosophie

Friedrich Nietzsches ›Wille zur Macht‹ und die Semiotik von Charles S. Peirce
»Eine fortgesetzte Zeichen-Kette von immer neuen Interpretationen«

von Patrick Thor

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Die Frage nach der Konstitution von ›Macht‹ war und ist ein zentraler Begriff sowohl der Philosophie als auch der politischen Praxis. In diesem Kontext ist Friedrich Nietzsche bis heute besonders durch seine Konzeption eines allumfassenden ›Willens zur Macht‹ bekannt. Was aber genauer unter solch einer ubiquitären Macht zu verstehen ist, kann – so die These der vorliegenden Studie – nur durch die Bezugnahme auf Nietzsches semiotische Weltanschauung klarer werden. Nach einer allgemeinen Darstellung des ›Willens-zur-Macht‹ in Teil I, widmet sich Teil II Nietzsches ›Semiotik‹, die sich in dessen Werk eher implizit und kaum systematisch ausgearbeitet findet. Im Unterschied dazu hat der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce fast zeitgleich eine detaillierte semiotische Theorie entworfen, die in Teil  III als verdeutlichende Kontrastfolie derjenigen Nietzsches gegenübergestellt wird. Im abschließenden Teil IV soll auf die realpolitischen Folgerungen eingegangen werden, die sich aus Nietzsches Universalisierung der semiotisierenden Machtwillen ergeben – diese werden wiederum mit Peirce‘ Theorie des Pragmatismus kontrastiert.

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Drei Thesen und eine Schlussfolgerung zum Phänomen des ›Postfaktischen‹
»...nobody knows exactly what’s going on.«

von Nina Ort, Patrick Thor & Anna-Maria Babin

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Ausgehend von der öffentlichen Wahrnehmung des Amoklaufs am Münchner Olympia-Einkaufszentrum im Jahr 2016 sowie der aktuellen Debatte rund um das Problem ›fake news‹ werden wir den Begriff der Postfaktizität unter semiotischen Gesichtspunkten analysieren.
Zu diesem Zweck formulieren wir drei allgemeine Thesen, die semiotische Merkmale des Postfaktischen und des als ›postfaktisch‹ wahrgenommenen Diskurses zusammenfassen (Teile  I-III). Dabei erweisen sich der Postfaktische Diskurs und sein Umgang mit Fehlinformationen als spezifische Verengung des Wirklichkeitsbezuges (I), dessen faktische Defizite über das Postulat einer gesteigerten Authentizität der beteiligten Subjekte ausgeglichen werden soll (II). Dies hat wiederum eine neuartige Bedrohung der diskursiven Auseinandersetzung zur Folge, die wir als Idiosynkratischen Dogmatismus bezeichnen (III).
Der abschließende Teil IV folgert aus den beschriebenen Phänomenen, wie der postfaktischen (Pseudo‑)Argumentationsweise und ihren Folgen zielführend begegnet werden könnte.

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Rainer Maria Rilkes Sonett Archaïscher Torso Apollos
im Blickfeld des psychoanalytischen Systems Jacques Lacans

von Simon Brandl

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Jacques Lacans psychoanalytisches System lässt sich in vielerlei Hinsicht als Interpretationsmodell für Rainer Maria Rilkes Dinggedichte zur Anwendung bringen. Ein Paradebeispiel stellt hierfür Rilkes Sonett Archaïscher Torso Apollos dar. Die Motive von dinglicher Kunstschönheit, depravierter Ganzheit, dionysischer Lust und lichthaftem Sehen, die hier zur Sprache kommen, korrelieren auf faszinierende Weise mit den Lacanschen Termini von Objekt klein a, Subjektspaltung und Begehren sowie mit Lacans Theorie von Blick und Auge. Grundlegend hierfür ist jeweils das Theorem der Spiegelung, dessen Bedeutung für den ‚Symbolisten‘ Rilke ausgehend von erkenntnistheoretischen Fragestellungen verständlich wird.

 

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Der fremde (Wort‑)Körper im entfremdeten Leib
Was uns Jacques Lacans Psychosemiologie über unsere Subjektwerdung, über unsere Psychosen (G. Grass Blechtrommel) und über unseren Krebs (Ch. Schlingensiefs Mea Culpa) sagen kann

von Patrick Thor

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Die Psychosemiologie Jacques Lacans verbindet die Bildung des menschlichen Subjekts mit einer spezifischen Objektivierung desselben: Es betrachtet sich als zeichenhaft konstituiertes Ob‑Jekt eines Anderen im Selbst. Nur aufgrund dieser inneren Spaltung kann das Subjekt sich als etwas vom All Unterschiedenes symbolisieren und so über sein ›Ich‹ reflektieren.
Anschließend an einen grundlegenden Überblick in Teil I, der eine spezifische Interpretation der Lacanschen Theorie des Spiegelstadiums und des daraus resultierenden Subjektmodells vornimmt, illustriert Teil  II das psychotische Misslingen der Subjektbildung paradigmatisch anhand von Günther Grass‘ Die  Blechtrommel. Der schließende Teil  III erweitert die psychoanalytische Theorie um den Aspekt der dezidiert physischen Erkrankung. Dieser neue Ansatz wird insbesondere unter Zuhilfenahme von Christoph Schlingensiefs Mea  Culpa als einem Theaterstück über die eigene Krebserkrankung vorgenommen. Denn so wie Lacan speziell in der Sprache Geisteskranker einen direkten Ausdruck des Unbewussten zu finden glaubte, könnte auch gerade die (scheinbar) rein körperliche Erkrankung das (Ent‑)Fremde(‑te) im gespaltenen Subjekt offenbaren.

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© Münchner Semiotik (ISSN: 2365-0230)